Leasen statt kaufen; benutzen statt besitzen – der Megatrend Servitization drängt Unternehmen zum Umdenken. Ein Kulturwandel, der viel Potenzial birgt, aber auch Herausforderungen mit sich bringt.
Was bedeutet Servitization (Servitisierung)?
Servitization (auch Servitisierung) bezeichnet einen ökonomischen Paradigmenwechsel, bei dem die Entwicklung weg vom Besitzen hin zur Dienstleistung (Service) geht. Es handelt sich dabei insbesondere um eine Geschäftsmodellinnovation für produzierende Unternehmen.
Disruption durch Digitalisierung
Sinkende Produktmargen und eine steigende Nachfrage nach serviceorientierten Angeboten wie Carsharing, Cloud-Services und Smart Home Geräten zeigen deutlich: Im Zuge der digitalen Transformation werden immer mehr Produkte durch Dienstleistungen ergänzt oder vollständig ersetzt. Neue, servicefokussierte Geschäftsmodelle entstehen und verdrängen etablierte Produkte vom Markt. Dieser als Servitization bezeichnete Prozess betrifft schon längst nicht mehr nur den IT-Sektor, sondern erfasst zunehmend jede Branche – vom Autobauer bis zum Bohrmaschinenhersteller.
Beispiele finden sich sowohl bei Konsumgüterherstellern als auch in der Fertigungsindustrie. Eines der prominentesten Konzepte ist Rolls Royce’s „Power by the Hour“-Verfahren. Anstatt Flugzeugtriebwerke zu verkaufen, vermietet der Konzern die Leistung pro Betriebsstunde, einschließlich Wartung. Auch im Endkundengeschäft ist der Trend angekommen: Baumärkte bieten mittlerweile schwere Werkzeuge nicht mehr nur zum Verkauf, sondern auch zum Verleih an. In beiden Fällen bezahlt der Kunde nicht für das Produkt, sondern für die Leistung, die es bietet.
Der Trend zur Service-Gesellschaft ist nicht neu. Der Rückgang der Produktion zugunsten des Dienstleistungssektors wird in den Industrieländern schon seit den 70er Jahren beobachtet. Der Begriff Servitization kam bereits in den 80er Jahren auf. Ein Grund hierfür war und ist das Outsourcing der Produktion in Niedriglohnländer.
Die Digitalisierung der letzten Jahre beschleunigt diesen Prozess nun derart, dass sich ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel abzeichnet. Durch Vernetzung und algorithmenbasierte Datenverarbeitung werden Potenziale freigesetzt, die sowohl unsere Art des Konsums als auch des Wirtschaftens und der Unternehmenskultur sowie das komplette Denken im Unternehmertum grundlegend und nachhaltig verändern.
Lösungen verkaufen statt Produkte
Produkte um Dienstleistungen zu erweitern oder ganz in Services zu transformieren kann in unterschiedlichen Graden umgesetzt werden. Unter dem Dachkonzept Smart Home werden weiterhin Produkte verkauft, jedoch um einen Service-Aspekt ergänzt und im Hinblick auf diesen vermarktet: Etwa der Kühlschrank, der selbstständig neue Lebensmittel bestellt. Auch im bereits zitierten „Power by the Hour“-Konzept bleibt das Produkt an sich erhalten, wird aber in Form einer Dienstleistung angeboten. Carsharing hingegen ersetzt ein Produkt – das Auto – komplett durch eine Dienstleistung – flexible Mobilität. Anders als bei einer normalen Autovermietung ist es hier durch Vernetzung und digitales Bezahlen potenziell möglich, Kunden dieselbe Verfügbarkeit zu bieten, wie bei einem eigenen Auto. Durch die wachsenden und vielfältigen Informationen, die durch GPS-Nutzung, Suchmaschinen und andere Big Data Quellen gewonnen werden, entstehen außerdem völlig neue Dienstleistungen ohne Produktaspekt, wie zum Beispiel Smart Apps.
Das Spektrum ist breit, die Potenziale groß und der Marktdruck steigt. Dennoch hadern viele mit der Transformation zum Dienstleister. Dabei haben viele Unternehmen Vernetzungstechnologien, Big Data Analytics oder IoT-Devices schon längst in ihre internen Produktions- und Kommunikationsprozesse integriert. Während die Technologien hier vorrangig Effizienzzuwächse schaffen, bleibt die grundlegende Struktur des Unternehmens und des hergestellten Produktportfolios weiterhin unangetastet. Wenn es aber um das Konzept des Angebots an sich geht, tun sich viele Unternehmen schwer, die Potenziale der neuen Technologien gewinnbringend einzusetzen, denn dies erfordert ein Umdenken sowohl in der Produktentwicklung, als auch in der Personalstruktur und der Unternehmenskultur.
Geschulte Produktmanager kennen den Markt sowie die Trends sehr gut und können strategisch mit ihren Visionen helfen. Ein entsprechendes Produktmanager-Training für strategisches Produktmanagement ist häufig unumgänglich, um moderne Konzepte wie Servitization im Unternehmen umzusetzen.
Herausforderungen & Chancen durch Servitization
Die Umwandlung eines Produktionsunternehmens in einen Dienstleister bleibt bei der Erstellung eines neuen Geschäftsmodells nicht stehen. Es reicht nicht mehr aus, einmal ein Konzept zu entwickeln und Gewinne über Effizienzsteigerung zu maximieren. Die Weiterentwicklung technologischer Möglichkeiten und der Wettbewerb fordern den Unternehmen einen ständigen Willen zur Innovation ab.
Voraussetzung hierfür ist ein exploratives Mindset. Statt Sicherheitsdenken ist Entdeckergeist gefragt. Neue Lösungswege müssen ausgelotet werden und dass nicht jeder sofort zum gewünschten Ziel führt, muss ein fester Faktor in der Kostenplanung sein. Neue Technologien und ein neues Vertriebskonzept erfordern oft auch eine neue Infrastruktur. Investitionen in SLM-Lösungen (Service Lifecycle Management) und maschinelle Datenanalyse sind notwendig, ebenso wie nachhaltig steigende Investitionen in Forschung und Entwicklung.
Auch die Personalstruktur ändert sich grundlegend im Zuge der Servitization. Der Innovationsdruck erfordert neues Know-how, ebenso wie die Implementation neuer Technologien. Werden Service-Leistungen angeboten, müssen Kunden außerdem laufend betreut werden, was die Bedeutung des Vertriebs und die fachlichen Anforderungen an die Mitarbeiter erhöht. Dies wird durch den Trend zur personalisierten Dienstleistung noch verstärkt. Während das nötige Know-how zum Produkt oft schon im Unternehmen vorhanden ist, bedarf es häufig zusätzlicher Qualifikationen um beispielsweise datengestützte Services anzubieten. Da keine Endprodukte mehr verkauft werden, entstehen Synergieeffekte, die an anderer Stelle Produktionsstellen überflüssig machen. Umschulungen, Weiterbildungen, Neueinstellungen aber auch Personalfreisetzung begleiten diesen Prozess der Servitisierung.
Unternehmen, welche sich diesen Herausforderungen stellen, können allerdings maßgeblich von der Transformation profitieren. Als Service-Anbieter kann ein Unternehmen Kunden langfristig an sich binden und ist so weniger Marktschwankungen und Konkurrenzdruck ausgesetzt. Das Umsatzpotenzial ist nahezu endlos, da durch ständige Innovationen immer neue Umsatzquellen geschaffen werden können. Wenn Hersteller ihre Produkte nicht mehr verkaufen, sondern verleihen, fallen Umsätze durch Wartung und Gewinne durch Obsoleszenz weg. Es werden weniger Produkte benötigt und die Motivation nachhaltig und langlebig zu produzieren steigt. Dies ist sowohl für den Service-Anbieter als auch den Kunden sowie die Umwelt von Vorteil. Kunden bietet die Buchung einer Dienstleistung den Vorteil, sich nicht mit der Wartung, dem Betrieb und den Risiken auseinandersetzen zu müssen. Der Anbieter kann dies besser und effizienter leisten. Dies spart Kapazitäten, welche ins eigene Kerngeschäft investiert werden können.
Fazit
Ein großes Business-Thema: Die Herausforderungen, denen sich ein Existenzgründer oder Unternehmer auf dem Weg zur Servitization und damit auf dem Weg zum Dienstleistungsunternehmen stellen muss, sind umfangreich. Experten zufolge ist diese Transformation für viele Branchen jedoch alternativlos. Besitz ist ein Konzept, dass zukünftig sowohl für Unternehmen als auch Endkunden an Bedeutung verliert. Im Fokus steht der Nutzen. Insbesondere der Wandel von einem Fertigungs- zu einem Serviceunternehmen ist herausfordernd, obgleich er eine enorme Umsatzsteigerung erwirken kann. Er macht eine komplette Neuausrichtung des strategischen Produktmanagements nötig. Gelingt er, kann er jedoch enorme Umsatzsteigerungen bewirken. Für Unternehmen, die hier mithalten, bieten sich zahlreiche Vorteile und neue Wertschöpfungspotenziale. Nicht ausschließlich Großunternehmen wie Alstom, Caterpillar, MAN, Rollce Royce oder Xerox profitieren – auch KMUs bewegen sich immer mehr in diese Richtung.
Bildquelle: © rawpixel/123RF